JUST CAN’T BELIEVE YOU

Ein Diskussions- und Kritikpapier zur
Demonstration „Münster GEGEN Pegida“

Am heutigen Abend findet in Münster eine Demonstration statt, die sich gegen einen lokalen Ableger der rassistisch-antimuslimischen¹ “Pegida-Bewegung” richtet und dem die Worte „Freiheit, Gleichheit, Vielfalt und Toleranz“ entgegenwirft.
Obwohl Engagement gegen Rassismus und seine jüngsten Ausprägungen nötig und sinnvoll ist, muss der von „Münster GEGEN Pegida“ verfolgte Ansatz sowohl inhaltlich, als auch in seiner Vorgehensweise aus den in diesem Flugblatt formulierten Gründen kritisiert werden.²
 

Dieser Text ist als Diskussionsgrundlage konzipiert. Vieles konnte jedoch nur skizzenhaft dargelegt werden und bedürfte der weiteren Erläuterung und Vertiefung. Da dies in der gebotenen Kürze nicht möglich war, wir Missverständnisse ausräumen wollen und uns durchaus darüber bewusst sind, dass wir der Demonstration in Gänze damit nicht gerecht werden, sollte dieses Papier als Angebot zur weiteren Auseinandersetzung betrachtet werden.

 

 
I. Bisher gibt es keinen Grund, die Anmeldung einer Kundgebung durch “MünGIDA” zu erwarten. Es existiert lediglich eine wenig ernstzunehmende Facebookgruppe. Für eine Aktion wie die heutige Demonstration liegt also zunächst kein dringlicher Anlass vor – der bei einer geringen Vorlaufzeit auch einen kurzen und inhaltlich kaum durchdachten Aufruf rechtfertigen könnte.
 

II. Die auffälligste Schwachstelle des Aufruftextes ist seine inhaltliche Beliebigkeit. Mit ihm ist eine zu große Bandbreite an Positionen vereinbar. So können z. B. auch jene sich als eingeladen ansehen, die zwar gegen nichtstaatliche rassistische Gewalt eintreten, jedoch für die Verschärfung der sowieso schon katastrophalen Einwanderungspolitik.
 

III. Die Aufrufenden suchen „einen echten Dialog“ mit denjenigen, die sich von “Pegida” angesprochen fühlen. Bei diesen hat man es jedoch – nicht zuletzt die Interviews des Fernsehmagazins Panorama³ zeigen dies – fast ausschließlich mit Rassist*innen zu tun. Für einen „Dialog“ mit eben solchen gibt es keine Grundlage, da ihre Meinungen auf irrationalen, kontrafaktischen Vorstellungen über die Realität beruhen. Beispielsweise behaupten sie eine “Islamisierung Deutschlands”, de facto gibt es keine dementsprechenden Tendenzen; sie fürchten sich maßlos vor “Islamisten”, de facto ist der Anteil von radikalen Verfechter*innen des politischen Islam an der Bevölkerung in der BRD verschwindend gering. Letztlich offenbart sich in ihren Äußerungen ein gesellschaftliches Ressentiment gegen alles als “fremd” Wahrgenommenes, das sich an einem Feindbild (“den Muslimen”) abzureagieren droht (und welches mit tatsächlichen Moslem*innen nichts zu tun hat). Anders als im Aufruf behauptet ist “Pegida” also nicht „religions-“ und nicht bloß „ausländerfeindlich“, sondern diese Positionen sind Ausdruck eines Rassismus, der eine andere bzw. größere Reichweite hat.
 

IV. Eine angemessene Umgangsweise mit den Anhänger*innen rassistischer Ideologie ist die Verweigerung jeglichen Dialogs. Ihre Positionen sollten jenseits der Grenze aller gesellschaftlichen Diskurse liegen, sie können nur Gegenstand von Kritik sein. Sich auf sie einzulassen – sich ihnen gegenüber „nicht verschlossen“ zu zeigen – verschafft ihnen Legitimität, die ihnen nicht zusteht.
 

V. Sinnvolle, konkrete antirassistische Praxis bestünde derzeit darin, sich gegenüber jenen solidarisch zu verhalten, die von Rassismus betroffen sind: Die Unterstützung von antirassistischen (Hilfs- und Selbst-)Organisationen und von Geflüchteten, das Engagement gegen die unmenschliche Gesetzeslage sowie institutionalisierte Repression und Armut von Migrant*innen, das Verhindern von Abschiebungen, das Einschreiten bei und Verhüten von rassistischen Übergriffen wären hier einige Beispiele.
 

VI. Dem Rassismus selbst (und seinen noch nicht völlig verblendeten Träger*innen) kommt man nur durch Aufklärungsarbeit bei. Um diese überhaupt betreiben zu können, bedarf es einer kritischen Gesellschaftstheorie, die auch einen reflektierten Begriff von Rassismus formuliert.
 

VII. Genau diese geht den Verfasser*innen des Aufrufes zur heutigen Demonstration jedoch offensichtlich ab. Laut Aufruf will man „die Ängste und Nöte der [“Pegida”-bewegten] Bürgerinnen und Bürger“ „verstehen“. Dass dieses „Verstehen“ sich nicht empathisch auf die Meinungen von Rassist*innen beziehen kann, sollte aus III und IV hervorgegangen sein. Verstehen muss man hingegen die gesellschaftlichen Verhältnisse, die zu Ängsten und Nöten führen, welche sich in Rassismus äußern. Einer kritischen Gesellschaftstheorie läge es dabei fast auf der Hand, dass andauernd mit ihrer Austauschbarkeit konfrontierte Menschen nach dem Ausschluss oder der Geringschätzung potentieller Konkurrent*innen rufen [“Die xy klauen uns die Arbeitsplätze!”]; dass wer unter dem Druck steht, sich selbst an die Gesellschaft anzupassen und für den Markt zu disziplinieren, dazu neigt, eigene unterdrückte Wünsche und Triebe auf “andere” zu projizieren und so nicht mehr als eigene wahrzunehmen (die “Anderen” sogar dafür zu hassen, in ihnen die Verkörperung jener zu sehen) [“Alle xy sind Faulenzer!”]; dass in Verhältnissen, in denen jede*r potentiell gegen jede*n um die Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum kämpfen muss, die Kompensation der eigenen Vereinzelung durch den Anschluss an imaginäre Kollektive [Rasse, Nation, …] einen ungemeinen Sog ausübt.
 

VIII. Statt mit einer materialistischen Gesellschaftskritik ist das Einzige, womit „Münster GEGEN Pegida“ aufwarten kann, der Verweis auf die Begriffe „Freiheit, Gleichheit, Vielfalt und Toleranz“. Aus der Erfahrung der letzten antifaschistischen Kundgebungen aus dem (links)bürgerlichen Spektrum ist zu erwarten, dass in Bezug auf Rassismus mit dem Sprechen von „Toleranz“ die Vorstellung verbunden ist, als “anders” wahrgenommene Menschen (regelrecht wie eine Zumutung) gnädigerweise zu erdulden. Hinter dem Schlagwort „Vielfalt“ lauert einerseits immer die Festschreibung von Menschen auf Identitäten, die ihnen aufgrund rassistischer Stereotype zugewiesen werden. Andererseits soll gerade ihre “Andersartigkeit” eine Bereicherung für die Mehrheitsgesellschaft mit sich bringen. [Vereinfacht: Migrant*innen sind für “das Bunte” zuständig, weshalb es sich lohnt, sie zu tolerieren. Diese Funktion können sie selbstverständlich nur erfüllen, solange sie als “(angenehme) bunte Flecken” von der Mehrheitsgesellschaft gekennzeichnet werden und sich so verhalten, wie sie in deren Augen sollen (nämlich nur als Ausdruck der Clichés, mit denen sie belegt werden).]
 

IX. Werden „Freiheit“ und „Gleichheit“ nicht weiter expliziert, sind sie Ausfluss bürgerlicher Ideologie. Auch wenn in diesen Begriffen immer noch ihre (ursprünglich) emanzipatorische Intention mitschwingt, verkommen sie zu ökonomischen Bestimmungen, wendet man sie nicht gegen die apersonale Herrschaft des Kapitals, den stummen Zwang der Verhältnisse.
So schließt „Freiheit“ zwar eigentlich das Versprechen der möglichst weitgehenden Selbstverwirklichung aller Individuen mit ein, sie ist jedoch in der bestehenden Gesellschaft nur sicher in den garantierten Beschränkungen: sie bedeutet für die meisten vor allem, frei zu sein vom Besitz an Produktionsmitteln und frei, Verträge abzuschließen, um die eigene Arbeitskraft zu verkaufen. „Gleichheit“ trägt zwar noch den Klang der Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Beteiligung in sich, unverrückbar bleibt jedoch nur die Austauschbarkeit auf dem Markt und die perfide “Fairness” der diesen garantierenden Gesetze. Für beide gilt: Alles Weitergehende ist dem Kapitalismus Verhandlungssache, Luxus.
So gelagerte „Freiheit“ und „Gleichheit“ für „alle Menschen“ zu fordern, mag zwar angesichts der realen Lebensbedingungen, unter denen global ihre Mehrheit vegetiert, ein Fortschritt sein – es ist aber nicht das, was man menschenwürdig nennen würde.
 

 

Wenn wir nun selbst vor dem Hintergrund dieser Kritikpunkte Bilanz ziehen, drängt sich für uns der Verdacht auf, dass die heutige Demonstration in erster Linie der (Selbst-)Bestätigung dient.

Man will sich als „modern, aufgeschlossen und vielfältig“ darstellen. Der Wunsch nach Harmonie ist sich hier selbst schon Anlass genug – es braucht nicht einmal die konkrete Dissonanz einer “MünGIDA”-Kundgebung. Deshalb auch greift man zur Aktionsform „Kerzenzug“, inszeniert ein “Event”, bei dem sich die Teilnehmer*innen gegenseitig auf die Schultern klopfen können und das letzten Endes nur ein Lippenbekenntnis ist.
Würde man es ernst(er) meinen mit dem eigenen Anspruch, hätte man sich im Vorfeld etwas mehr Gedanken gemacht (I) und könnte eine zutreffendere Kritik an “Pegida” äußern (III, VII), wäre schließlich zu einem anderen Praxisansatz (IV-VI) gekommen. Anstatt zu meinen, mit dem Schmettern einiger gutbürgerlicher Phrasen (VIII-IX) sei alles gesagt, hätte man sich um eine kritische Gesellschaftstheorie bemüht und nach den gesellschaftlichen Ursachen von Rassismus gefragt (VII). Dabei wäre zu Tage getreten, dass es einen immanenten Zusammenhang von Kapitalismus und Ideologien gibt – weshalb konkrete antirassistische Praxis (V) für die Beseitigung der Ursachen immer auch antikapitalistisch aufgestellt sein sollte.

Durch das Ausbleiben jeglicher Kritik der Gesellschaft im Aufruf wird dieser ebenso zur Bestätigung des Status Quo, zu dem die Demonstrierenden selbst zu gehören scheinen. Ihre größte Befürchtung soll sein, dass “Pegida” „salonfähig“ wird – die stabilisierende „Mitte der Gesellschaft“ wollen sie für sich selbst. Diese Beschränktheit im Denken offenbart sich ebenfalls darin, dass es „Münster GEGEN Pegida“ allem voran um Diskurse in Münster und vielleicht noch im Rest von Deutschland geht.
Dass es nichtstaatliche rassistische Gewalt – die von “Pegida”, “Hogesa”, rechtsradikalen Organisationen, Nazis uvm. vorbereitet und ausgeübt wird – überhaupt gibt, dass man in Münster wie andernorts vor ihr nicht sicher sein kann, darauf kommt man lieber nicht zu sprechen. Ebenso verschweigt man, dass wegen gesellschaftlichen Ressentiments, von denen “Pegida” offen wie implizit nicht einmal alle äußert, der reibungslose Ablauf staatlicher Gewalt gegen als “Fremde” wahrgenommene Menschen erst möglich ist: Repressionen gegen Migrant*innen, Ersaufen von Menschen im Mittelmeer, Abschiebungen, die unmenschliche Unterbringung von Geflüchteten, das weltweite Elend (Armut, Unterdrückung, Verfolgung, …), das diese überhaupt erst zur lebensgefährlichen Fluch ins Ungewisse zwingt usw. – all das hat seine Rückendeckung dadurch, dass man “andere” aus der eigenen Gruppe ausschließt, all das konstituiert und durchzieht auch das Leben in Münster. Und es bleibt im Aufruf unwidersprochen (II).

Letztlich verwundern derlei Aussparungen nicht, lässt sich nur dank ihnen die gewünschte Harmonie in einer antagonistischen Gesellschaft ansatzweise denken, kann ein verlogen unschuldiges Bild von Münster in der Welt schemenhaft ermöglicht werden.

 

 

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Unser Programm bleibt die Abschaffung aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Wir wollen die freie Assoziation der Menschheit in einer staaten- und klassenlose Weltgesellschaft, in der jede*r ohne Angst verschieden sein kann. Die heutige Demonstration – so unser Verdacht – steht für nichts davon ein.
Täte sie das, so wäre ihre Antwort auf „Pegida“ der Aufruf zur Solidarität mit den von Rassismus betroffenen, zur Aufklärungsarbeit und zum (wo nötig auch handgreiflichen) Abwehrkampf gegen Rassist*innen solange, bis eine Praxis zur Aufhebung des jetzigen Zustandes zu Gunsten einer Utopie, in der alle Menschen endlich menschenwürdig leben können, nicht länger verstellt ist.
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Gruppe et2c
et2c@riseup.net | et2c.org

 

 

P.S.: Dieses Flugblatt wurde vor der Veröffentlichung des vollständigen „Ablaufs“ der Demonstration verfasst, die am Nachmittag des 04.01.2015 in der Facebookveranstaltung erfolgte und der zeigt, wozu man unter dem hier kritisierten Aufruf fähig ist. Nicht zuletzt durch die Einladung aller Ratsmitglieder (inklusive der “AfD”) und die darum geführte Diskussion hat sich mehr als bestätigt, was vorher nur Verdacht sein konnte. Rückblickend hätten wir diesen Flyer weniger wohlwollend und wesentlich schärfer fassen sollen.

 

 

 

Weiterlesen:

 

 

 

Endnoten:
¹ Wir halten völkisch-nationalistische und rassistische Ideologie für das entscheidende Charakteristikum der “Pegida-Bewegung”. Eine derartige Einordnung nahm kürzlich auch eine der lokalen Antifa-Gruppen vor, der wir hier folgen.

² Grundlage der hier geäußerten Kritik ist der auf Facebook veröffentlichte Aufruf.

³ “RTL-Inkognito” hin oder her. Teil 1 und Teil 2 bei YouTube.

Eine Anlaufstelle für solche Betätigungen wäre in Münster beispielsweise die Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender.

 

 

 

 

 

 

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