Nachbereitung

Die Kritische Tagung zur Debatte um den politischen Islam, welche am 26.09.2009 im Club Courage stattfand, war mit zwischenzeitlich mehr als 40 Personen relativ gut besucht. Aktueller Anlass für die Tagung war ein Auftritt von Tariq Ramadan an der Universität Münster am 07.07.2009.

Wir wollen hier versuchen, kurz die Inhalte der Vorträge und Diskussionen darzustellen. Für eine tiefere Auseinandersetzung sei auf die Audiomitschnitte und das Skript des Inputreferats verwiesen.

 

Im Inputreferat (Skript) der Gruppe et2c wurden neben dem Hintergrund von Traiq Ramadans Auftritt in Münster auch die Fragestellungen der Tagung erläutert. So ging es um die Relevanz des Themas, sowohl für antifaschistische Interventionen wie auch gesellschaftskritische Ansätze, die Möglichkeiten und Notwendigkeit emanzipatorischer Kritik am Islamismus und deren Artikulation.

 

 

Der Vortrag von Klaus Blees beleuchtete historische Linien eines „islamischen“ Antisemitismus beginnend mit der Entstehungszeit des Islam, über die Ausbreitungsgeschichte und das Verhältnis islamischer Herrscher zum Judentum im Mittelalter und der Frühgeschichte des Nahost-Konflikts sowie der Gründung der Muslimbruderschaft als erster Organisation des modernen Islamismus, hin zur aktuellen Entwicklung in und um Israel. Dabei lag der Schwerpunkt seiner Ausführungen auf der Beschreibung neuzeitlicher Entwicklung und gegenwartshistorischen Erläuterungen.

In der Diskussion wurde angemerkt, dass es über historische Daten hinaus an einem theoretischen und auch theologisch fundierten Begriff des „islamischen Antisemitismus“, ähnlich und in Abgrenzung zu dem des europäischen Antisemitismus, mangele. Dem folgte ein Exkurs über die Möglichkeit eines solch spezifischen Begriffs und dessen Sinnhaftigkeit eben in genannter Abgrenzung. In wie weit der historische Dhimmistatus der Verbreitung von Antisemitismus im arabischen Raum zuträglich war, wurde kontrovers diskutiert. Die Notwendigkeit einer Beschäftigung mit dem (politischen) Islam wurde am Rande einiger Redebeiträge thematisiert.

 

 

Udo Wolter stellte sich in seinem Vortrag gegen den Begriff der „Islamophobie“ und dessen Anwendung, betonte jedoch die Existenz spezifisch gegen Muslime gerichteten Rassismus und die hohe Relevanz antirassistischer Interventionen als Teil jeder emanzipatorischen Gesellschaftskritik. Dabei sollte eine universalistisch orientierte Kritik am Islam diese antirassistischen Interventionen tragen. Dass diese Kritik wiederum die „selbstkritische Wendung des Einheitsdenkens“ mit einer kritische Haltung gegenüber der Gesellschaft, aus der sie entstammt, verbinden muss, war die zentrale These seines Vortrages. Die Kritik sollte so in die Lage kommen, Islamismus genauso als gesellschaftliches Produkt zu begreifen und zu kritisieren, wie auch Rassismus und Antisemitismus.

In der Diskussion wurde zunächst der Bezug auf die kritische Theorie im Vortrag kritisiert. Der Universalismus, wie er im Vortrag dargestellt wurde, wäre mit der klassischen kritischen Theorie unvereinbar, sondern würde von eben dieser abgelehnt. Es sei wichtig, das Andere nicht abzulehnen oder es als mystifiziertes Unantastbares anzusehen, sondern ihm gewahr zu werden und dann den Dialog zu suchen. Weiter wurde angemerkt, dass der von Wolter vorgestellte Universalismus in der Betonung von Rationalität durchaus einen Herrschaftsanspruch transportieren könne.

 

 

Jörg Sundermeier‘s Kritik an Tariq Ramadan lehnte sich hauptsächlich an Ramadans jüngstes Buch „Radikale Reform“ an. In der Einleitung verwies er auf Ralph Ghadbans Buch „Tariq Ramadan und die Islamisierung Europas“ sowie einen aktuellen Artikel Ghadbans in der FAZ. Im Fokus von Sundermeiers Vortrag stand zunächst sein eigener Artikel zu Tariq Ramadan in der Jungle World, den er ausgiebig kritisierte und so bereits viele eher allgemeine Punkte erläuterte. Er kam dann zur Darstellung von Ramadans Redestrategie Fragen und heiklen Aussagen auszuweichen. Dass Ramadans Theorie über weite Strecken schwer greifbar bleibt, konnte im Vortrag nachgewiesen werden. Sundermeier schloss mit der These, dass Ramadan einer konsequenten Islamkritik im Wege stehe, da er das Image eines integrierten Islam widerspiegle, obwohl eine solche Integration noch nicht stattgefunden habe. Dass diese Spiegelung möglich ist führte er auf projizierte Bedürfnisse, die aus politischen Konfliktsituationen entstünden, zurück.

Die Marginalität Ramadans sowohl in theologischen Fragen bzw. innerislamischen Glaubensangelegenheiten, als auch innerhalb sogenannter islamischer Staaten betonte Sundermeier nochmals in der Diskussion. Auch, dass Ramadan mit vielen Inhalten gefüllt werden könne, eben weil er sich ambivalent äußere und nur in wenigen Punkten klare Aussagen träffe – und so geziehlt Sehnsüchte bedienen könne – wurde nocheinmal anschaulich erläutert.

 

 

Welche Auswirkungen die Tagung haben wird, ist nur schwer zu evaluieren. In der Abschlussdiskussion wurden nur wenige Kritikpunkte geäußert, es ging mehr darum, welche Positionen Islamkritik einnehmen kann. Dass eine emanzipatorische Islamkritik nur als Teil einer weitergehenden und radikalen Gesellschaftskritik denkbar ist, war unter den Anwesenden Konsens. Die Frage nach den Möglichkeiten der Artikulation einer solchen emanzipatorischen Islamkritik musste aber weitgehend unbeantwortet bleiben.

 

 

 

Audiomitschnitte:

[Die Audiomitschnitte sind im Ogg Format gehalten und zwischen 24MB und 34MB groß. Ogg Vorbis Dateien können mit foobar2000, VLC und zahlreichen weiteren Mediaplayern abgespielt werden.]

 

 

 

Ironisch rekurrierend auf einen Kommentar Ramadans zu unserem Flugblatt “Mit Schrift, Charme und Methode” es sei „not intellectually fair“ jemanden zu diskreditieren, bevor er selbst zu Wort gekommen sei, lassen wir unsere Anmerkungen zu den Vorträgen auf die Audiomitschnitte von diesen folgen.

 

Anmerkung zum Vortrag von Klaus Blees:
Wir möchten uns ausdrücklich von dem undifferenzierten Umgang Blees’ mit den Begriffen „Moslem/Moslima“ „AraberIn“, „IslamistIn“ und „AntisemitIn“ distanzieren.
Weiter waren sowohl seine historischen Ausführungen nicht in der Lage dem Anspruch des Vortrages zu genügen, vielmehr schien es um eine gegenwartshistorische Abhandlung über den Nah-Ost-Konflikt zu gehen. Es blieb so beim Verlesen eines Pools von historischen Daten ohne weitere theoretische Beschäftigung. Dass auch diese Ausrichtung eher unbefriedigend ausfiel und gerade gegen Ende zu einer reinen Apologie für die Handlungen der israelischen Armee verkam, ist bedauernswert. Eine Abgrenzung gegenüber dem europäischen Antisemitismus vermochte Blees nicht zu liefern, weder in historischer, noch in theoretischer Perspektive.

 

 

Anmerkung zum Vortrag von Udo Wolter:
Es kann aus unserer Sicht als fragwürdig gelten, ob ein dermaßen starker Bezug auf die Aufklärung und deren Denker in dieser Form aus emanzipatorischer Sicht möglich ist. Auch in wie weit eine quasi psychoanalytische Charakterisierung des Täters des Mordes von Dresden stichhaltig und lohnenswert ist, gerade wenn sie mit dem Bedürfnis nach eigener Integration und Ius Sanguinis hantiert, halten wir für diskutabel. Die harsche Kritik an der gesamten poststrukturalisitischen Denkschule, wie sie in Wolters Vortrag vorgenommen wird, greift zu kurz und übersieht zentrale Momente dieser.

 

 

Anmerkung zum Vortrag von Jörg Sundermeier:
Sundermeier widmete sich in seinem Vortrag Ramadan durchaus angemessen, gerade aufgrund der polemischen Grundhaltung. Wir nehmen seine Kritik, dass ein_e andere_r Referent_in wahrscheinlich zu theologischen Aspekten hätte mehr sagen können und so gewisse Vorraussetzungen Ramadans besser hätte erläutern können, an. In Sundermeiers Vortrag wurde jedoch genau das geleistet, an was es dem Umgang mit Ramadan in der Regel mangelt und was uns im Bezug darauf zu vermitteln wichtig wäre.

 

 

Anmerkung zur Tagung:
Für viele Besucher_inn_en waren die Pausen möglicherweise zu lang, das Programm hätte auf den Nachmittag beschränkt werden können. Inhaltlich ging es hauptsächlich um den Diskurs um den politischen Islam, viel zu wenig um deren Gegenstand, den (politischen) Islam selbst. Eine Beschäftigung mit dem Islam, dessen Strömungen und dem politischen Islam im Speziellen wurde angeregt und für nötig befunden. Auch die Zusammenführung der Vorträge ist nur schwerlich gelungen, sie sind eher als einzelne fragmentarische Beiträge verstanden worden.

 

 

 

 

 

 

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