Auch und gerade in Münster:                                No Tears for Krauts!

Fyler zum “Gedenkkonzert” im St.-Paulus-Dom [PDF]

Am 10.10.1943 fand der erste Luftangriff bei Tageslicht auf Münster statt. Heute, 70 Jahre später, lädt der Philharmonische Chor unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters und mit der Unterstützung zahlreicher prominenter Institutionen und Unternehmen dazu ein, diesem Ereignis zu gedenken.

Bei einem Blick in das Werbematerial und auf die Presseverlautbarungen im Vorfeld fällt schnell auf, dass sich die Form des Gedenkens einreiht in einen nationalen Vergangenheitsdiskurs, der sich ausschweigt über den Kontext der alliierten Luftangriffe und in dessen Zentrum ein kollektives Betrauern deutscher “Zivilpersonen” steht. Prominent tritt in Münster das Klagen über die Zerstörung der Innenstadt und das Lob der Wiederaufbauleistung der MünsteranerInnen hinzu.

 

[What the problem is]

Kein Wort wird verloren über den von den Deutschen betriebenen Vernichtungskrieg, der über 50 Millionen Menschen den Tod brachte. Nichts liest man über den von den Deutschen geschlossen getragenen Nationalsozialismus, den alle Schichten verschweißenden eliminatorischen Antisemitismus, den Kulminationspunkt dieses Wahns in der industriellen Massenvernichtung von über 6 Millionen Jüdinnen*Juden. Eine Erinnerung an die Verfolgung, Unterdrückung und Ermordung von allen, die den Deutschen unliebsam waren – Sinti, Roma, Homosexuelle, Kritiker*innen, körperlich oder geistig Auffällige, … – sucht man ebenso vergebens.

Stattdessen zielt das Gedenken in Münster, genauso wie in Dresden, Hamburg, Frankfurt und zahlreichen anderen deutschen Städten (deren häufigere und größere Jammerveranstaltungen nur die Provinzialität Münsters betonen) wesentlich darauf, ein spezifisch deutsches Geschichtsbewusstsein zu propagieren, das einen positiven Bezug auf die eigene Nation zulässt und einfordert.

 

[Bomber Harris Superstar]

Wichtiger Bestandteil dieser Verklärung der Geschichte ist die Selbstinszenierung der Deutschen als “Opfer”. “Opfer” u. a. der alliierten Bombenabwürfe, die durch die Titulierung als “Kriegsverbrechen” den Verbrechen der Deutschen an die Seite gestellt werden sollen, um so die singuläre Schuld der Deutschen zu relativieren.

Die alliierten Bomben waren jedoch nur die Antwort auf den Rassenkrieg der Deutschen und mit ihnen wurden wesentlich andere Ziele verfolgt. Zunächst waren noch Häfen, Bahngleise, Industrie- und Militäreinrichtungen im Fadenkreuz der Bomber – so auch in Münster, das ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt zum Umschlag von Kriegsnachschub und wie heute ein bedeutsamer Militärstandort war, von dem aus unter anderem Luftangriffe auf britische Städte (darunter Coventry) geplant wurden. Um den Krieg möglichst schnell zu beenden, sollte der Durchhaltewille der Bevölkerung gebrochen werden und die Bombardierungen ab 1942 auf die Innenstädte konzentriert.

Die münsteraner Reaktion war ein trotziges “Trotzdem und dennoch: Wie staoht fast!”. Denn anders als gerne behauptet, war der Großteil der deutschen BürgerInnen Münsters – Katholizismus hin oder her – auch kein “Opfer” einer “Hitlerdiktatur”, sondern bis zuletzt von den wesentlichen ideologischen Bestandteilen des Nationalsozialismus überzeugt. Die Legitimität des Naziregimes wurde nie bezweifelt und auch aktiven Widerstand hat es – Galen hin, Galen her – aus der lokalen deutschen Bevölkerung nicht gegeben. Dementsprechend hielten sich zum Zeitpunkt der Bombardierungen in Münster wohl kaum noch Gegner*innen der Volksgemeinschaft oder von dieser Verfolgte auf, sie waren von den in der Stadt Verbliebenen durch Deportationen entfernt oder anderweitig zum Schweigen gebracht worden.

 

[Wiederaufbau ist nicht Aufarbeitung]

Nach dem Krieg beeilten sich die MünsteranerInnen, ihre Innenstadt wieder aufzubauen. Der Identifikationsort Prinzipalmarkt sollte als Illusion einer bürgerlich-konservativen Tradition wiederauferstehen. Dazu wurde mit Rückgriff auf Pläne und Personen aus der Zeit des Nationalsozialismus ein neues, stark am vorherigen Erscheinungsbild orientiertes Stadtzentrum konstruiert – auch vor nicht zerstörten Fassaden wurde beim Angleichen und Zurechtrücken nicht Halt gemacht. Der Prinzipalmarkt wurde so als alltäglicher Erinnerungsort zu einer Materialisierung postfaschistischer Vergangenheitsbewältigung. Auch architektonisch hatte man den Nationalsozialismus externlaisiert als kurze, fremde Episode und seine Opfer ausgeblendet. Vor dieser Kulisse ließ es sich gut so tun, als wäre nichts gewesen – die münstersche Wiederaufbauleistung erscheint in diesem Licht als Exempel für den Stunde-0-Mythos und die Schlussstrich-Debatte 1950ff.

Wie überall in Deutschland folgte nach dem Leugnen bald der Anspruch, geläutert zu sein. Statt die Vergangenheit aufzuarbeiten und nach den Gründen des Nationalsozialismus zu fragen, wurde schnell dazu übergegangen, sie zu bewältigen, mit ihr umzugehen und sie für politische Zwecke, schließlich sogar zur Legitimierung von militärischen Interventionen Deutschlands jenseits der Grenzen von Territorium und Geschichte, nutzbar zu machen. Dass die letzte Aufführung von “War Requiem” als “Gedenkkonzert” im münsteraner Dom vor 20 Jahren, also nicht lange nach der “Wiedervereinigung”, mit dem Wiederaufstieg Deutschlands zur Weltmacht zusammenfällt, spricht ebenso Bände.

 

[Deutsche TäterInnen sind keine Opfer]

Wenn es wirklich das Anliegen der Veranstaltenden ist, gegen den “Wahnsinn des Krieges” anzugehen, hätten sie mit einem “Gedenkkonzert” am heutigen Tag nicht katastrophaler fehl gehen können. Pikant ist auch die Auswahl der Komposition, die zum Gedenken an die Bombardierung der britischen Stadt Coventry durch die deutsche Luftwaffe entstanden ist.

In der gebotenen Kürze dieses Flyers konnten unsere Hauptkritikpunkte nur kurz angerissen werden – dass nicht unvermittelt an “Zivilpersonen” als Opfer von Bombardierungen erinnert werden kann, wenn es sich um eine deutsche Stadt zur Zeit des Nationalsozialismus handelt, sollte klar geworden sein. Wer unterschiedslos an alle Opfer des Krieges erinnert, spielt der Relativierung der von den Deutschen kollektiv und bewusst begangenen Verbrechen ebenso in die Hände, wie dem Wiedererstarken des deutschen Nationalismus. Nicht zu erwähnen, was der Kontext der Luftangriffe gegen die deutsche Bevölkerung war, arbeitet der Verklärung der Geschichte gleichermaßen zu, wie die unkritische Rezeption des historischen und gegenwärtigen Umgangs mit der Vergangenheit.

 

Die Bombardierung Münsters war eine von vielen Maßnahmen, welche die Alliierten sich zu ergreifen gezwungen sahen, um dem Wahnsinn der Deutschen möglichst schnell Einhalt zu gebieten. Die Niederschlagung des Nationalsozialismus – im Falle Münsters der Einmarsch von Briten und Amerikanern am 02.04.1945 – kam für seine Opfer dennoch zu spät. Sie zu erinnern und gleichzeitig nie wieder ähnliches geschehen zu lassen, daran hätte Gedenken sich auszurichten.

 

Nie wieder Deutschland!

 

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