Shoahrelativierung an der Uni?

Ein Priester des Weltuntergangs kommt nach Münster

Am 9. November soll auf Einladung des Centrums für Bioethik Helmut F. Kaplan an der Universität Münster sprechen. Auf seiner Internetseite setzt Kaplan die Shoah mit moderner Tierhaltung gleich und vertritt weitere menschenverachtende Positionen.

 

„Eine wundervolle, traumhaft-schöne Landschaft – aber ich weiß, was dahintersteckt: ein riesiges KZ.“¹ „KZ auf dem Mönchsberg. KZ in Salzburg. KZ mitten in der Kulturmetropole.“²

Viele Texte in Kaplans „Kompendium³ sind geprägt von einer Instrumentalisierung der Shoah für seine Tierrechtspolitik. Dabei geht es ihm nicht um einen (schon von sich aus fragwürdigen) Vergleich dieser mit der kapitalistischen Tierverwertung, was nicht zuletzt daran zu erkennen ist, dass er auf die wesentlichen Unterschiede nicht zu sprechen kommt. Vielmehr löst er Begriffe wie „Holocaust“ und „KZ“ aus ihrem historischen und ideologischen Kontext, um eine plumpe Gleichsetzung zu vollziehen.

Zur Vergegenwärtigung: Die Shoah war der wahnhafte Versuch der nationalsozialistischen deutschen Gesellschaft, alle von ihr als „Juden“ identifizierten Menschen zu vernichten – eine Vernichtung, die keine anderen Zwecke verfolgte, als die Vernichtung selbst. Sie ist nicht aus rationalen, kapitalistischen, materiellen oder militärischen Motiven zu erklären, sondern lediglich als Konsequenz der Ideologie des Antisemitismus.
Hingegen ist die Tierhaltung, die in den modernen bürgerlichen Gesellschaften stattfindet, ein Ausdruck des kapitalistischen Normalbetriebs. Tiere werden als Produkte (oder deren Träger) behandelt, als Waren zur Profitmaximierung genutzt. Das Ziel dieser Rationalität ist es nicht sie zu quälen oder zu vernichten – vielmehr sollen solche Handlungen staatlich unterbunden werden.
 

„Aber hier endet die Parallele zwischen uns und den Überlebenden des Holocaust nicht: Hat nicht jeder, der als Mensch und nicht als Tier auf die Welt gekommen ist, immenses Glück gehabt! Oder möchten Sie in einem der modernen Vernichtungslager geboren worden sein, um als Versuchstier, Pelzmantel oder Schnitzel zu enden?“

Die von Kaplan immer wieder bemühten Gleichsetzungen verhöhnen all jene, welche von den NationalsozialistInnen ermordet wurden ebenso wie diejenigen, welche die Shoah überlebten. Er meint sie in die gleiche Position stellen zu können, die Tieren in der modernen Ökonomie zukommt – teilweise muss es gar so scheinen, als sei er der Ansicht, es erginge Tieren heutzutage schlimmer, als jenen Menschen, die zur Zeit des Nationalsozialismus ausgegrenzt, entrechtet, gedemütigt, verfolgt, gefoltert, ermordet wurden. Neben einer erneuten Erniedrigung der Opfer wird damit das unvorstellbare Grauen, für welches die Chiffre ‚Auschwitz‘ steht, verschleiert und verharmlost. Die Singularität, welche der Zivilisationsbruch der Deutschen darstellt, wird im business as usual aufgelöst.

Argumentationsmuster wie diese kommen dem deutschen Bedürfnis nach der Entsorgung der Vergangenheit durchaus entgegen. Die Relativierung der nationalsozialistischen Taten durch unzulässige Vergleiche dient immer wieder der nationalen Schuldabwehr und der Externalisierung der eigenen Geschichte. Es ist daher wenig verwunderlich, dass Kaplan 2010 dem neonazistischen Medium „Fahnenträger“ ein Interview mit dem bezeichnenden Titel „Holocaust-Vergleich wird immer wichtiger“ gab.
 

„Selbst um den Preis des Weltuntergangs wollen wir nicht vom Fleischessen lassen.“¹⁰ „Eine weltweite Klimakatastrophe wäre die gerechte Strafe für jahrtausendelange Verbrechen an Tieren.“¹¹

Doch mit Shoahrelativierungen ist es bei Kaplan nicht getan: Zu seinem Repertoire gehören auch eine ganze Reihe anderer menschenverachtender Äußerungen.¹² Im Angesicht der „Hölle, die wir den Tieren auf Erden bereiten“¹³, der „Dummheit und Schlechtigkeit der Menschen[, die] nie enden werden“¹⁴ und dem „völlige[n] Versagen der Tierrechtsbewegung“¹⁵ träumt er „die Barmherzigkeit der Bombe“¹⁶ herbei, die als „ultimative Katastrophe für [die Tiere] eine Erlösung wäre“¹⁷. Solche apokalyptischen Sehnsüchte, die sich durch Kaplans Onlinepublikationen ziehen, vermengen sich dabei mit einem frappierenden Fehlen von universellem Mitgefühl¹⁸ – über das allgegenwärtige menschliche Leid in der Moderne schreibt Kaplan zumeist nur, um es zu absurden Vergleichen mit tierischem Leid heranzuziehen¹⁹ oder den aus seiner Sicht dafür Verantwortlichen zu wünschen²⁰.
 

„Allein es fragt sich: Soll man sich diesem Terror der Irrationalität und Dummheit auf Dauer wirklich beugen? Soll man ewig “klugerweise” auf die Wahrheit verzichten? Nein! Man muß die Wahrheit sagen, weil sich die Wahrheit nur so durchsetzen kann.“²¹

Es muss überraschen, dass eine universitäre Institution ausgerechnet Helmut F. Kaplan als Referenten ausgewählt hat. Schon eine nur oberflächliche Sichtung seiner Website macht deutlich, mit wem man es zu tun hat – er selbst beginnt die thematische Auflistung seiner Texte mit „(Beschreibung des) Holocaust, den wir Tieren bereiten“²². Ebenso schnell finden sich bei einer kurzen Internetrecherche brauchbare Kritiken an Kaplan.²³ Zudem ist es nicht so (was allerdings nichts besser machen würde), dass Kaplan stellvertretend für eine relevante Position innerhalb der Tierrechtsbewegung auftreten könnte – ganz im Gegenteil kann er als isolierte Randfigur gelten.²⁴
Letztlich spricht auch der Termin – der 77. Jahrestag der Reichspogromnacht –, zu dem das CfB einen notorischen Shoahrelativierer²⁵ eingeladen hat, nicht für die zu erwartende Sorgfalt bei der Organisation einer akademischen Ringvorlesung.

 

Gruppe et2c (Münster)
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Endnoten:

¹ Kaplan, KZ in Bayern.

² Kaplan, KZ in Salzburg.

³ Anscheinend wird dieses nicht mehr häufig aktualisiert. Dass Kaplan sein Denken nicht geändert hat, zeigen (neben dem Fehlen jeglicher Distanzierung von dort abrufbaren Texten) die Äußerungen auf seinem Facebookprofil.

Wenn Kaplan selbst von „Unterschieden“ schreibt, geht es ihm nur darum, die heutige Tierhaltung als verwerflicher erscheinen zu lassen. Siehe: Kaplan, Holocaust einst und jetzt: Ein wichtiger Unterschied; Kaplan, Wahrheitsverachtend!; Kaplan, Schweigen ist ein Verbrechen.

Es konnte hier nicht darum gehen, alle Alleinstellungsmerkmale der Shoah aufzuzeigen. Vielmehr sollten gerade jene Aspekte hervorgehoben werden, an denen offensichtlich wird, dass ein Vergleich mit der Tierverwertung abwegig ist.

Kaplan, Holocaust.

Siehe (neben Kaplan, Holocaust) auch: Kaplan, Planet des Leidens.

Auf Kaplanisch: „Vor allem aber würde die überfällige Entsorgung des irrationalen Einmaligkeits-Mythos die Grundlage dafür schaffen, das bisher größte Menschheitsverbrechen ins Blickfeld zu rücken: den seit Jahrtausenden währenden und sich täglich noch steigernden Holocaust an Tieren.“ – Kaplan, Schlechte Zeiten für Holocaust-Leugner.

Das Interview ist ebenfalls auf Kaplans Internetseite zu finden. Weiterführend hierzu auch: Emil Franzinelli, Hauptsache für die Tiere?.

¹⁰ Kaplan, Weltuntergang statt Vegetarismus?.

¹¹ Kaplan, Klima und Gerechtigkeit.

¹² Viele Texte, auf welche die in diesem Text insgesamt geübte Kritik ebenso zutreffen würde, wurden nicht angeführt. Beim Recherchieren fiel uns zudem eine problematische Verwendung der Begriffe „Indianer“ und „Eskimo“ (Kaplan, Der Lack ist ab; Kaplan, Wie ist das eigentlich mit …?) sowie ein ausgeprägter Antiamerikanismus (Kaplan, Ich bin ein Amerikaner; Kaplan, Wo es um Tiere geht, wird jeder zum Bush) auf.

¹³ Kaplan, Hölle auf Erden.

¹⁴ Kaplan, Lehre aus dem Krieg – hier bezeichnet Kaplan die Menschen auch als einen „Fehlschlag der Natur“, sie würden „immer dumm und böse“ bleiben; Ähnlich: Kaplan, Tierversuche und Menschlichkeit.

¹⁵ Beispielsweise: Kaplan, Tierrechte – das Ende einer Illusion?.

¹⁶ Kaplan, Weltuntergang wünschenswert?.

¹⁷ Ebd.

¹⁸ „Nachdem wir nun festgestellt haben, daß es sich beim Tsunami [2004] um eine fürchterliche Katastrophe handelt […], muß aber auch folgendes gesagt werden dürfen: Unter diesen Opfern gibt es bestimmt auch kaltherzige und unmoralische Menschen. Und diese Menschen haben den moralischen Anspruch, daß ihnen geholfen wird, verwirkt.“ – Kaplan, Mut zur Wahrheit. Ebenfalls eindringlich: Kaplan, Verbotene Gefühle? und: Kaplan, Wenn Jäger sterben.

¹⁹ Beispiele: Terrorismus (Kaplan, Terror in New York – und überall; Kaplan, Schrecklich und unverständlich?; Kaplan, Ex-Terrorist bereut; Kaplan, Jäger sind Terroristen), Apartheid (Kaplan, Apartheid perfektioniert und globalisiert), jahrelange Freiheitsberaubung/Folter/Vergewaltigung/Mord (Kaplan, Amstetten ist überall; Kaplan, Amstetten ist überall II).

²⁰ „Das Widerlichste: die sich als ‘Gourmets’ bezeichnenden Berufsfresser. Man sollte sie zum Verhungern nach Afrika schicken.“ – Zitate von Helmut F. Kaplan (I); „Solange wir, die wir ‚draußen’, in der Freiheit, im Glück sind, denen nicht helfen, die ‚drinnen’, im Gefängnis sind, so lange haben wir kein Recht auf Glück. Wer genießt, ohne zu helfen, macht sich schuldig und verdient nicht zu leben.“ – Zitate von Helmut F. Kaplan (II).

²¹ Kaplan, Mut zur Wahrheit.

²² tierrechte-kaplan.org/kompendium/

²³ Zum Beispiel bei Wikipedia.

²⁴ Siehe: BAT, Kaplans Präsenz am Kongress: Ein politischer Fehler und die sich dort anschließende Diskussion.

²⁵ Kaplan wird beim Thema „Ist Fleischessen Privatsache? Zum politischen und ethischen Stellenwert des Vegetarismus“ (siehe Ankündigungsplakat), den seiner Meinung nach „nicht nur legitim[en], sondern sogar äußerst erhellend[en]“ „Holocaust-Vergleich“ (Kaplan, Holocaust einst und jetzt) sehr wahrscheinlich erneut bemühen.

 

 

 

 

 

 

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